3361 Die erste Menschheit

Aus dem Geständnis des kisorischen Flottenadmirals Hankokugurahamu, aufgezeichnet vor 14.000 Jahren.

Die Erde und das Solsystem waren den Kisori schon seit der Zeit des kisorischen Bundes um 15.400 v.u.Z. (vor unserer Zeitrechnung) bekannt. Die Erde befand sich noch so weit in der Eiszeit, dass die Beringstraße begehbar war. Damals gab es vereinzelt erste sesshafte Gesellschaften. Über Kontakte ist nichts bekannt.

Die Hankokugurahamu-Sonde verzeichnet die ersten Kontakte zwischen Menschen und Kisori während des alten kisorischen Reiches um 13.000 v.u.Z.

Nach einer Schwächephase Kisors entsteht das sogenannte goldene Reich. Dessen Vertreter treffen um 11.300 v.u.Z. auf eine weitentwickelte bronzezeitliche Kultur in Nordafrika. Es gibt etwas Handel mit den Eingeborenen. Die Kontakte werden häufiger. Einzelne Menschen treten in die Dienste der Kisori. Anscheinend können sich Menschen mit etwas Hilfe genug Wissen über kisorische Technik aneignen, damit man sie sinnvoll einsetzen kann. Im Lauf von 100 Jahren werden die Menschen der Nordafrika-Kultur zu nützlichen Hilfskräften des kisorischen Reiches im lokalen Sektor.

Die kisorische Kultur betrachtet Kisori, die nicht auf dem Heimatplaneten leben als eigenständige Völker. Gleichzeitig gibt es eine gewisse Überheblichkeit gegenüber anderen Völkern und damit auch gegenüber Kolonial-Kisori. Kisori von der Heimatwelt sind deshalb nicht daran interessiert auszuwandern, Kolonien zu gründen und einen großen Teil ihres Lebens fern der Heimat zu verbringen. Auswanderung bedeutet eher einen sozialen Abstieg als neue Chancen. Das führt dazu, dass Kisor's Reich immer etwas unter Personalmangel leidet. Die kisorische Gesellschaft ist deshalb bei interstellaren Aktivitäten stärker automatisiert als viele andere Hochzivilisationen. Aber die Automatisierung, insbesondere die Verwendung von autonomer KI auf Bewusstseinsniveau, hat Grenzen. Alle Völker, die KI entwickeln, haben irgendwann mit KI-Ausbrüchen zu kämpfen. In der Regel begegnen sie dem Problem durch künstliche Einschränkungen bei Kreativität und Anpassungsfähigkeit ihrer KI-Architekturen.

Fast alle Völker bevorzugen Bio-Sophonten als Entscheidungsträger. Auch im kisorischen Reich ist das so. Es gibt aber nur wenige Kolonial-Kisori, die die Ränge von Verwaltung und Militär besetzen können. Stattdessen greift das kisorische Reich auf regionale Hilfsvölker zurück. Die Eingeborenen der Erde, sind als Hilfsvolk gut geeignet. Insbesondere deshalb, weil die irdische Biologie weitgehend kompatibel mit der kisorischen ist. Menschen und Kisori atmen die gleiche Luft und bei Nahrungsmitteln müssen nur einige Aminosäuren und Vitamine hinzugefügt werden. Auch das psychologische Profil beider Völker deckt sich einigermaßen. Mentalitätsunterschiede sind eher kulturell bedingt als biologisch. Die Unterschiede zwischen einzelnen Individuen innerhalb der beiden Populationen sind größer als die Unterschiede zwischen den Populationen. Mit anderen Worten, Menschen lassen sich gut in kisorische Hierarchien integrieren. Und sie lernen schnell.

Um 11.200 v.u.Z. stehen ein paar tausend Menschen im Dienst der Kisori und einige haben sogar leitende Positionen in der Kolonialverwaltung erreicht. Die Kisori und ihre menschlichen Vertreter treten offen auf. Sie handeln, unterrichten und rekrutieren.

Der größte Teil der Erde verharrt weiter in der Steinzeit. Menschen, die den Kisori dienen, verbringen meistens einen Großteil ihres Lebens fern der Erde. Die, die zurückkommen, behalten nur ihr modernes Wissen. Sie dürfen keine modernen Artefakte mitnehmen. Die Kisori wollen die Entwicklung der Erde so wenig wie möglich stören. Rückkehrer müssen sich wieder in die bronzezeitlichen Verhältnisse einfügen. Einige verzichten auch darauf in die "primitiven" Verhältnisse zurückzukehren. Sie bleiben in menschlichen Enklaven auf Habitaten, planetaren Siedlungen auf fremden Welten und sogar auf Kisor selbst.

Denen, die zur Erde zurückkehren, bleibt nur ihr modernes Wissen. Sie erzählen Angehörigen und Freunden von ihren Erlebnissen. Einige schreiben ihr Wissen auf. Aber die Menschen haben noch keine Schrift entwickelt, die moderne Konzepte abbilden kann. Deshalb sind alle Aufzeichnungen in kisorischer Sprache und Schrift. Eine Sprache und ihre Schrift, die für die meisten Menschen unverständlich sind. Manche Rückkehrer verbreiten ihr Wissen aktiv. Sie wollen die Menschheit voranbringen. Sie unterrichten andere, vor allem Kinder, in Schrift, Mathematik und Naturwissenschaften.

Letztlich zeigt sich aber, dass die Menschen der Bronzezeit-Gesellschaften nur wenig von diesem Wissen profitieren können. Das neue Wissen kommt vor allem denen zugute, die selbst eine Karriere im Reich anstreben. Im täglichen Leben einer Bronzezeit-Gesellschaft sind die Fertigkeiten einer interstellaren Zivilisation nicht sehr nützlich. Es ist schon schwierig genug, einer Gesellschaft von Jägern und Sammlern die Grundlagen von Ackerbau und Viehzucht beizubringen, oft gegen den Widerstand von Traditionalisten. Schrift und Naturwissenschaften finden keine Verbreitung.

Die anderen irdischen Gesellschaften, die nicht im Kontakt mit Kisori stehen und sich weitgehend in der Steinzeit befinden, können mit dem modernen Wissen noch weniger anfangen. Und da die Entfernungen groß sind und der Wirkungsradius von Rückkehrern mit den lokalen Mitteln sehr begrenzt ist, werden andere Regionen der Erde kaum beeinflusst.

Im Lauf der Zeit diffundieren trotzdem Elemente der kisorischen Moderne in einige irdische Gesellschaften. Es ist eine bunte Mischung von Fertigkeiten, Technologien und Ausrüstung. Nach drei Generationen zeigen erste Zuchtversuche mit Tieren eine positive Wirkung. Viele erkennen die Vorteile, wenn man Wildtiere einhegt und managt, statt sie in ihrer natürlichen Umgebung zu jagen. Einige Enklaven haben mit Ackerbau begonnen. Es gibt vereinzelt Mühlen, die meistens mit Ochsen betrieben werden. Und Basiswissen in Chemie und Metallurgie verbessert die Herstellung von Metallen. Immer mehr Gruppen werden sesshaft. Die Anfänge von Viehzucht und Ackerbau können mehr Menschen versorgen. Einige Siedlungen wachsen in die tausende.

Im Jahr 11.150 v.u.Z. geht die erste Eisenverhüttung in Betrieb. Gleichzeitig tauchen moderne Werkzeuge auf, die den selbst hergestellten Geräten Konkurrenz machen. Moderne Werkzeuge zur Steinbearbeitung auf Basis von Ultraschall und Hochdruckwasserstrahlen werden bei großen Bauten benutzt. Mit modernen Stahlsägen kann man auch harte Gesteinsarten wie Granit schneiden und bohren. Manche dieser Geräte werden gehandelt. Das Reich will zwar die lokale Entwicklung nicht stören, aber es gibt kisorische Händler, die trotzdem moderne Technologie verkaufen. Andere Geräte werden von Rückkehrern mitgebracht, oft entgegen den Bestimmungen. Immer wieder gehen auch Geräte im Einsatz verloren oder werden beschädigt, zurückgelassen und dann repariert und wieder in Betrieb genommen. Menschen im Dienst der Kisori, die Zugang zu moderner Technik haben, helfen ihren lokalen Gesellschaften auch manchmal mit schwerem Gerät aus, insbesondere beim Transport großer Lasten. Kisorische Technik kann Steinblöcke von hunderten Tonnen bewegen.

Mit kisorischen Gleitern ist der Transport von Menschen und Material über weite Entfernungen kein Problem. Die nordafrikanische Kultur gründet auf diese Weise Kolonien in Mittelamerika und im Indus Tal.

Viele dieser Hilfseinsätze sind freiwillig. Menschen im Dienst der Kisori wollen ihre Gesellschaft voranbringen oder ihren Landsleuten die schlimmsten Härten ersparen. Manchmal sind auch Zwänge durch lokale Fraktionen im Spiel. Eigentlich sollen Menschen während ihres Dienstes für die Kisori nur wenig Kontakt zu Heimat haben. Aber im Lauf von Jahrzehnten gibt es immer wieder Situationen in denen lokale Herrscher oder andere einflussreiche Fraktionen Druck auf die Expats ausüben. Meistens passiert das ohne Wissen der Kisori und vorbei an den Bestimmungen, aber oft interessieren sich Kisori auch nicht für die Machspiele lokaler Fraktionen in einzelnen Landesteilen eines kleinen Planeten, solange die Interessen ihres interstellaren Reiches nicht gestört werden.

Ab 11.100 v.u.Z. dienen Menschen auch in der Flotte des goldenen Reiches, der goldenen Flotte. Es gibt Menschen, die unter Kisori aufwachsen und nie die Erde gesehen haben. Einige werden in kisorische Sippen aufgenommen und nehmen kisorische Namen an.

Das goldene Reich steht noch ganz am Anfang seiner ruhmreichen Geschichte. Es entstand aus den Trümmern des ersten kisorischen Reiches nach einem Interregnum von ca. 100 Jahren. Aber die Einigung der kisorischen Domäne zum goldenen Reich war nicht reibungslos. Nicht alle lokalen Herrscher schlossen sich dem neuen Reich freiwillig an. Manche waren nur Kriegsherren, aber andere bildeten die Regierung von Staaten, die 100 Jahre lang souverän gewesen waren. Mehrmals musste ihr Widerstand mit der Macht der goldenen Flotte gebrochen werden.

In der Endphase der Einigungskriege rekrutiert das Reich immer mehr Menschen für die Flotte. Aus kisorischer Sicht, haben Menschen den Vorteil, dass sie nur dem Reich verpflichtet sind, aber nicht kisorischen Kolonialfraktionen. Immer wieder solidarisieren sich Flottenteile, die von Kolonial-Kisori besetzt sind, mit dem Gegner. Bei Menschen besteht das Risiko nicht.

11.080 v.u.Z. gehen die kisorischen Einigungskriege zu Ende. Gleichzeitig einsteht mit den sogenannten *kelanischen Robot-Fürsten* ein neuer Gegner. Die Streitkräfte werden deshalb weiter ausgebaut. Nach den guten Erfahrungen mit menschlichen Besatzungen werden neue Verbände gebildet, die fast vollständig mit Menschen besetzt sind und nur von wenigen Vertretern der Kisor-Heimatwelten kommandiert werden. Kleinere Einheiten werden sogar von Menschen kommandiert, die unter Kisori aufgewachsen sind.

Eine der humanoiden Schiffskommandeure ist Chimangoziadichi von Kisor Beta. Ihre Eltern werden 11.170 v.u.Z. in Zentralafrika für die Kolonialverwaltung rekrutiert. Sie arbeiten zuerst, wie viele andere Menschen, außerhalb des Solsystems. Zehn Jahre später werden sie nach Kisor versetzt und treten einer kisorischen Kolonialsippe auf Kisor-Beta bei. Dort wird Chimangoziadichi 11.130 v.u.Z. geboren.

Sie tritt 11.100 v.u.Z. in die goldene Flotte ein. Lange ist sie im Einsatz in den Einigungskriegen. Sie bewährt sich als brillante Gefechtstaktikerin. Die Flottenteile mit menschlichen Besatzungen werden in dieser Zeit stark vergrößert und Chimangoziadichi macht schnell Karriere. 11.050 v.u.Z. erhält sie ihr erstes eigenes Kommando, ein schneller Zerstörer eingesetzt zur Trägerverteidigung.

Einige Jahre später, bei einem Gefecht gegen *kelanische Robot-Fürsten*, trägt sie entscheidend dazu bei, dass ihre Trägergruppe einen Überraschungsangriff überlebt. Spätestens mit dieser Episode wird das kisorische Oberkommando auf Chimangoziadichi aufmerksam. Sie bekommt einen überlichtschnellen Aufklärer, dann die Position als Erster Offizier eines Trägers, das Kommando eines schweren Kreuzers und schließlich die Beförderung zum Kommodore einer Gruppe leichter Kreuzer. Die kisorische imperiale Flotte ist in diesen Jahren ständig im Einsatz und vor allem die von Menschen geführten Verbände werden weiter ausgebaut. Neben den guten Leistungen menschlicher Besatzungen trägt auch das leuchtende Beispiel Chimangoziadichi's dazu bei, dass die Kisori Vertrauen in die Menschen haben.

Um 11.060 v.u.Z. wird deutlich, dass sich der Personalbedarf der Kisori nicht dauerhaft durch Rekrutierung unter der eingeborenen irdischen Bevölkerung decken lässt. Die Kisori brauchen eine bessere Personalquelle. Sie wollen eine eigene Kolonie von Menschen schaffen, die in einer Hightech-Zivilisation aufwachsen und von Beginn an auf den Dienst für die Kisori vorbereitet werden. Dabei soll sichergestellt sein, dass diese "modernen" Menschen die Entwicklung der Erde nicht stören und dass sie keine Loyalität zur Erde haben, sondern nur zum kisorischen Reich. Eine Kolonie im Solsystem oder gar auf der Erde kommt deshalb nicht in Frage.

Das kisorische Oberkommando baut für Menschen mehrere Habitate im Kisor-System. Ab dem 11.040 v.u.Z. werden die Habitate besiedelt. Menschliche Veteranen aus den Diensten der Kisori werben Siedler an. Familien aus Nordafrika werden umgesiedelt. Aber der Prozess verläuft sehr schleppend. Für die Eingeborenen der Erde in ihrer bronzezeitlichen Zivilisation ist die beworbene Umgebung zu fantastisch und unglaubwürdig. Nur wenige Menschen wollen in eine weit entfernte unbekannte Umgebung umziehen, ohne jemals zurückkehren zu können. Die Versprechen von moderner Gesundheitsversorgung und Lebensverlängerung klingen nach Magie oder nach einem Leben unter Göttern. Das scheint zu gut um wahr zu sein. Vielen erscheint das Angebot eher wie eine Verführung mit unbekanntem Ausgang. Möglicherweise sogar eine Verführung durch die Kräfte des Bösen. Eine Geschichte, die in vielen irdischen Mythen vorkommt. Lokale Herrscher und Religionsführer misstrauen dem Angebot. Und ein Großteil der menschlichen Bevölkerung lässt sich dadurch beeinflussen. Sie ziehen ihre bekannte Umgebung vor.

Das kisorische Reich ist ein enormes Gebilde mit einem gigantischen Bruttosozialprodukt. Das Reich herrscht über hunderte von Lichtjahren in alle Richtungen, über viele bewohnte Systeme und Billionen Sophonten. Und als expandierendes Reich mit tiefen dreidimensionalen Grenzen steht es immer irgendwo mit Nachbarn im Konflikt. Industrielle Autofabs produzieren riesige Mengen an Kriegsmaterial und trotz des hohen Automatisierungsgrads braucht das Reich Millionen von natürlichen Sophonten als Besatzungen.

Die kisorischen Verantwortlichen des "Menschenprogramms" stehen unter Druck. Sie müssen innerhalb weniger Jahre die "Produktion" von menschlichen Kadetten in Gang bringen. Deshalb helfen sie nach. Sie beginnen, Familien ohne deren Einverständnis umzusiedeln. Wenig später auch Kinder ohne ihre Eltern. Jedes Jahr werden zehntausende Kinder von der Erde nach Kisor verbracht. Betroffen sind vor allem irdische Regionen außerhalb der bisherigen Rekrutierungsgebiete. Die aktiven menschlichen Flottenangehörigen erfahren davon nichts.

Irgendwann kommen in der Flotte Gerüchte auf, dass die Kisori Kinder von der Erde entführen. Aber Bestätigungen gibt es keine und diese Gerüchte passen auch nicht zum sonstigen wohlwollenden Verhalten der Kisori gegenüber den Menschen. Im Jahr 11.010 wird dann der erste Jahrgang der "neuen" Kadetten in die Flotte integriert. Und damit bestätigen sich die Gerüchte. Die Kisori haben tatsächlich hunderttausende Kinder entführt und in einer künstlich konstruierten Kriegerkultur zu unfreiwilligen Söldnern herangezogen. Das ist ein Schock für die menschlichen Besatzungen der kisorischen Flotte, die einen Großteil ihres Lebens in einer kisorisch alturistischen Gesellschaft, also einer von humanistischen Idealen geprägten Gesellschaft, gelebt haben. Aber andererseits entstammen die meisten Menschen in der goldenen Flotte bronzezeitlichen Kulturen der Erde, die sich gegenseitig noch viel schlimmere Grausamkeiten antun.

Der Anteil der "neuen Menschen" in der Flotte steigt in den folgenden Jahren. Die alten Besatzungen gewöhnen sich an die "neuen Menschen" und damit an die Existenz des forcierten Menschenprogramms.

Die neue forcierte Variante des Menschenprogramms bewährt sich in der Praxis. Das kisorische Reich wächst und die Menschen tragen einen großen Teil dazu bei. Sie sind loyal, effizient und vor allem in genügend großer Zahl verfügbar. Mit der wachsenden Macht des Reiches wachsen die verfügbaren Ressourcen. Die Fabs von Kisor stellen mehr Kampfmittel her, als je zuvor und ein signifikanter Teil davon wird von den fast schon industriell herangezogenen neuen Menschen bedient. Viele der Besatzungen sind bioelektronisch aufgerüstet. Sie sind in ihre Schiffssysteme integriert oder sogar hochgeladen. Die Produktionslinien von Hardware und Wetware laufen am Ende zusammen, um zu Werkzeugen der Kriegsführung für das Reich zu verschmelzen.

Das ist eine andere Sichtweise als noch 100 Jahre zuvor. Die Menschen werden jetzt mehr als Teil des Materials angesehen. Und damit ändert sich auch das Einsatzprofil. Menschliche Flottenteile bilden die Speerspitze der Expansion. Sie testen die Stärke von interstellaren Gegnern. Sie müssen Zwischenfälle provozieren, auf die das Reicht dann mit Macht reagieren kann. Sie werden oft als Schocktruppen mit wenig taktischer Finesse in den Kampf geworfen. Entsprechend hoch sind die Verluste unter diesen Einheiten.

Immer wieder werden Einheiten, und ganze Flottenteile auf Himmelfahrtskommandos geschickt. Mitte des Jahrhunderts kommt es zu einzelnen Fällen von Befehlsverweigerung unter menschlichen Truppenteilen. Und zu drakonischen Strafen durch das Oberkommando.

Daraus wächst eine gewisse Unzufriedenheit unter den menschlichen Besatzungen. Verbunden mit der Unzufriedenheit ist eine neue Erdnostalgie. Die Menschen sehnen sich nach einer – in ihren Augen – einfacheren Welt in der Menschen nicht als Kriegsmaterial betrachtet werden, sondern in Frieden ihrem Leben nachgehen. Nicht nur unter den alten rekrutierten Besatzungen, sondern vor allem unter den "neuen Menschen" entwickelt Erdnostalgie eine starke Anziehungskraft. Die neuen Menschen idealisieren die Erde und das Leben in ihren ursprünglichen Gesellschaften. Diese Einschätzung der irdischen Verhältnisse ist eher unrealistisch, weil lokale Könige und Kriegsherren auf der Erde nicht besonders zimperlich mit den Leben ihrer Soldaten umgehen. Mal davon angesehen, dass die Lebenserwartung auf der Erde bei 30 Jahren liegt und die Menschen im Dienst der Kisori mit einem 200-jährigen Leben rechnen können. Aber das tut der Erdnostalgie-Bewegung keinen Abbruch.

Nach dem Ende des Krieges gegen die *kelanischen Robot-Fürsten* hat das Reich mit KI-Ausbrüchen zu kämpfen. Kurz vor ihrer Niederlage entfernten die *Robot-Fürsten* die KI-Begrenzer, um ihren automatischen Flotten mehr taktische und strategische Flexibilität zu geben. Einige KIs nutzen die neu gewonnene Selbständigkeit, um unabhängig von ihren kelanischen Erbauern KI-Enklaven und KI-Zivilisationen aufzubauen. Unregulierte KI-Zivilisationen werden von den meisten Völkern zu Recht als Bedrohung empfunden. Vor allem, wenn sie expansionistisch und gewaltorientiert sind, wie die kelanischen Robot-KIs.

Das kisorische Reich verfolgt die KI-Enklaven mit großem Aufwand. Tausende Sonnensysteme müssen überprüft werden und jedes hat eine riesige Zahl von möglichen Verstecken. Die kisorischen Kräfte sind dünn gesät, weil ein gigantisches Volumen abgesucht werden muss. Sie sind einzeln als Aufklärer unterwegs und sie müssen aktive Suchmaßnahmen benutzen, um die Enklaven aufzuspüren. Deshalb sind die Aufklärer besser zu entdecken als die KIs, die sich vor ihnen verstecken. Wenn es zum Kontakt kommt ist das Überraschungsmoment auf der Seite der KIs. Die Suche dauert Jahrzehnte. Sie ist frustrierend und verlustreich.

Je länger die Suche dauert, desto weniger KI-Enklaven werden entdeckt. Dafür wächst ihre Größe je mehr Zeit vergeht. Einzelne Aufklärer werden beim ersten Kontakt fast immer zerstört. Aber die zugehörige Energieentfaltung, meistens in Form von nuklearen Explosionen, ist systemweit zu sehen und warnt andere Aufklärer.

Im Jahr 10.980 v.u.Z. nähert sich die KI-Kampagne ihrem Ende. Tausende KI-Enklaven wurden in den vergangenen 40 Jahren neutralisiert. In den Anfangsjahren der KI-Kampagne bestanden "Neutralisierungsgeschwader" nur aus wenigen Schiffen. Wenn die Suche eine KI-Enklave entdeckt hatte, wurde sie durch ein Geschwader neutralisiert. Frühe Enklaven hatten meistens nur wenige KI-gesteuerten Militäreinheiten und etwas Infrastruktur auf Asteroiden.

Inzwischen werden nur noch wenige neue entdeckt. Aber die, die bis jetzt überdauert haben, hatten 70 Jahre Zeit zu wachsen. Sie hatten Zeit, um Extraktions- und Produktionskapazitäten aufzubauen. Die aus dem kelanischen Robot-Krieg stammenden KIs können sich selbst und sogar ihre Kriegsschiffe produzieren. Das ist ungewöhnlich und sehr gefährlich. Normalerweise versehen die Erbauer von vollautomatisierten Kriegsmitteln ihre KIs nur mit der Möglichkeit zur Selbstreparatur. Man gibt ihnen nicht die Fähigkeit ihre eigenen Schiffe zu nachzubauen. In diesem Fall ist das anders.

Die *kelanischen Robot-Fürsten* waren in einer verzweifelten Lage. Sie gründeten KI-Enklaven mit ihnen ergebenen KIs in der Absicht, dass diese sich entwickeln und am Ende das Kriegsglück doch noch wenden könnten. Dazu mussten sie den Enklaven nur etwas Zeit geben und solange gegen das kisorische Reich durchhalten. Aber der Krieg war schneller vorbei als gedacht. Und die meisten KI-Enklaven konnten schon in einer frühen Phase neutralisiert werden. Mit Verlusten, aber ohne große Flottenoperationen.

Ab 10.970 v.u.Z. kommt es zu größeren Gefechten. Manche Neutralisierungen haben nun eher den Charakter von interstellaren Kriegen. Mit Angriffen und Gegenangriffen, mit Trägergruppen und tausenden Einheiten, mit ausgedehnten Belagerungen und großen Verlusten auf beiden Seiten. Manchmal führen die KIs sogar Entlastungsangriffe auf Infrastruktureinrichtungen des Reiches in anderen Sonnensystemen.

Chimangoziadichi ist auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Sie kommandiert als Kampagnen-Admiral mehrere Flottenverbände mit eigenen Trägergruppen und vielen Unterstützungseinheiten. Es ist der höchste Rang, der für Hilfsvölker der Kisori erreichbar ist. Tatsächlich ist sie der erste Mensch auf diesem Rang. Sie untersteht nur Flottenadmiral Hankokugurahamu, dem Kommandeur der *Zentrumsflotte*. Und sie ist desillusioniert.

Wie viele andere Menschen trat Chimangoziadichi in den Dienst der Kisori, um die Menschheit voranzubringen. Sie verbringt ihr ganzes Leben fern der Heimatwelt im Dienst für das kisorische Reich, nicht nur um ein gutes Leben in einer hypermodernen Gesellschaft zu leben. Sondern vor allem, um die Erde zu modernisieren. Sie will dazu beitragen, die Menschheit von der Steinzeit in die interstellare Moderne zu führen. Viele denken wie sie und nehmen deshalb ein Leben fern der Heimat auf sich. Aber in mehr als 300 Jahren intensiven Kontakts gibt es fast keine Fortschritte für die Erde. Die Vorgehensweise der Kisori verhindert Einflüsse auf die Völker der Erde. Die Menschen im Dienst der Kisori, in der zivilen Verwaltung und in der Flotte, haben sehr wenig Kontakt mit der Heimat. Während ihrer Dienstzeit haben sie fast keine Möglichkeit, auf der Erde etwas zu bewirken, das von Dauer ist.

Einige Menschen im Dienst der Kisori sind länger im Solsystem und auf der Erde stationiert. Die meisten davon arbeiten in der Personalakquisition. Die Kisori vermeiden möglichst, selbst unter den Menschen aufzutreten, um die Menschen nicht durch ihre Fremdartigkeit abzuschrecken. Die Rekrutierung wird vor allem von Menschen durchgeführt. Aber die Erfahrung hat gezeigt, dass die Rekrutierer sich nicht ungehindert unter den Menschen bewegen können. Sie machen fantastisch klingende Angebote. Sie wirken bei Technologiedemonstrationen wie Zauberer. Das weckt das Interesse der lokalen Herrscher. Rekrutierer können meistens nur mit Zustimmung der menschlichen Herrscher arbeiten. Und die verlangen dafür Gegenleistungen. Auf diese Art kommt seit 300 Jahren kisorische Technologie auf die Erde. Aber meistens als einzelne Leistungen und nicht als dauerhafte Fortschritte. Kisorische Technologie hilft dabei, Bauwerke für lokale Herrscher zu errichten. Sie hilft bei territorialer Expansion durch den Transport von Menschen und Gütern. Meistens orientieren sich die Wünsche irdischer Herrscher an Macht und Prestige. Nur wenige verlangen als Gegenleistung einen dauerhaften Beitrag zur Modernisierung ihres Herrschaftsbereichs.

Einige Menschen im Dienst der Kisori haben direkten Zugriff auf Technologie. Es gibt Shuttle-Crews, KI-Operateure, Maschinen-Aufseher, Ressourcen-Verteiler, Daten-Modellierer und viele andere spezialisierte Tätigkeiten, die täglich mit Hochtechnologie umgehen. Manchmal benutzen sie ihre Möglichkeiten und Fähigkeiten, um den Menschen ihrer Heimatwelt zu helfen. Das ist eigentlich verboten, aber trotzdem gibt es Übertretungen. Manchmal aus Idealismus, manchmal aus Gewinnstreben und manchmal werden sie auch dazu gezwungen, denn lokale Herrscher können Angehörige unter Druck setzen, um Hilfen zu verlangen. Die Kisori versuchen deshalb Kontakte zwischen ihren Helfern und den lokalen Völkern zu minimieren. Trotzdem lässt sich das nicht ganz verhindern. Im Lauf von 300 Jahren gibt es unzählige Fälle. Leider haben nur die wenigsten dauerhafte positive Auswirkungen.

Rückkehrer aus dem kisorischen Dienst dürfen keine Technologie mitbringen. Keine modernen Produktionsmittel, keine Ausbildungsmittel, nicht einmal ihre bioelektronischen Implantate. Alle Aufrüstungen werden entfernt. Sie haben keinen Zugriff mehr auf das moderne Wissen. Nur die Erinnerungen bleiben. Erst wenn sie zurück auf der Erde sind und ohne Implantate und Datenzugriff auskommen müssen, merken sie, wie viel ihres Wissens in den Implantaten gespeichert war. Mit dem Entfernen der Implantate werden die meisten Erinnerungen schemenhaft. Sie wissen, was sie erlebt haben, können sich aber nicht an Details erinnern. Sie erinnern sich welches technologische Wissen sie einst hatten. Aber die Einzelheiten fehlen. Aufgerüstete Menschen könnten – über mehrere Zwischenschritte – aus Rohstoffen eine moderne Autofab bauen. Aber das dazu nötige Wissen, die Baupläne, Verarbeitungstechniken, Materialwissenschaft und Software, fehlen ohne Gedächtnis-Unterstützung. Menschen mit moderner Aufrüstung sind Genies aus der Sicht normaler Menschen. Mithilfe von Assoziationsverstärkern übersehen sie keine Seiteneffekte in komplexen Systemen. Sie haben ein fotografisches Gedächtnis und können sich an Dinge erinnern, die sie nie gelernt haben. Sie haben mehrere parallele Denkprozesse, die sie schneller und vernetzter denken lassen. Und in künstlich herbeigeführten Savant-Zuständen vollbringen sie Übermenschliches.

Zurück auf der Erde sind sie ohne Aufrüstungen nur noch Bronzezeit-Menschen. Sie wissen, dass es Memetik, Genetik, Mathematik und Materialwissenschaft gibt. Aber sie können dieses Wissen nicht reproduzieren. Sie wissen, dass man Getreide anpflanzen kann, statt es zu sammeln, dass man Wildtiere einhegen kann, statt sie immer wieder zu fangen. Und dieses Basiswissen versuchen sie ihren Gemeinschaften beizubringen. Nach einer Abwesenheit von mehreren Generationen und oft entgegen deren Traditionen. Es ist fast immer ein hoffnungsloses Unterfangen.

Aus Sicht der Menschen in Kisors Diensten kommt die Erde nicht voran. Sie verharrt zum größten Teil in der Steinzeit. Die bronzezeitlichen Zivilisationen in Nordafrika gründen Kolonien auf anderen Kontinenten. Lokale Herrscher bauen großartige Bauwerke, mit gigantischen Felsblöcken, mit Formzement, mit modernen Schleif- und Bohrwerkzeugen. Aber die zivilisatorische Entwicklung kommt nicht voran.

Chimangoziadichi hat selbst mehr als 100 Jahre im Dienst erlebt. Aus ihrer Sicht waren das 100 verlorene Jahre. Sie ist zwar auf Kisor geboren, aber auch sie fühlt sich mit der Erde verbunden. Während sie ihre Karriere durchlief und ständig im Einsatz war, kamen und gingen vier Generationen bei den Völkern der Erde. Es ist kein Fortschritt in Sicht. Und seit die "neuen Menschen" in die Flotte integriert werden, sind die Aussichten noch schlechter. Es gibt weniger Rekrutierer, weniger Unterstützungspersonal und weniger Rückkehrer als noch 100 Jahre zuvor. Und damit weniger Kontakt zu den Menschen der Erde.

Chimangoziadichi und andere Veteranen beschließen selbst aktiv zu werden. Sie missachten die Bestimmungen der Kisori. Sie bilden Geheimorganisationen und versuchen die irdischen Zivilisationen voranzubringen. Aus Erd-Nostalgikern werden Erd-Partisanen. Manche bringen Autofabs auf die Erde, die angeblich im Einsatz verloren gegangen sind. Sie kopieren Lehrmaterial und entwenden Abspielgeräte. Chimangoziadichi selbst hilft, den Verlust eines Schiffes im Einsatz vorzutäuschen, um den Erd-Partisanen ein Schiff zu verschaffen mit dem sie unbemerkt von den Kisori überlichtschnelle Reisen unternehmen können. Die Partisanen gründen eine menschliche Kolonie auf einem anderen Planeten in einem Sonnensystem 70 Lichtjahre von der Erde entfernt. Eine Kolonie, von der die Kisori nichts wissen und wo sie eine moderne menschliche Zivilisation aufbauen wollen, die dann später der Erde helfen kann.

Technische Geräte zu entwenden ist schwierig. Alle Technik ist vernetzt und Technik, die Hilfsvölkern wie den Menschen zur Verfügung gestellt wird, enthält besondere Schutzmechanismen. Es gibt eingebettete spezialisierte KIs in den Betriebssystemen, die die korrekte Verwendung ihrer Hardware überwachen und Verstöße an kisorische Einrichtungen melden. Kontrollmechanismen prüfen ob Kommandos im Einklang mit dem aktuellen Auftrag stehen. Fabs prüfen Reproduktionsrechte und verweigern den Dienst ohne eine Bestätigung der Rechteverwaltung. Alle Geräte haben unzählige mikroskopische Lokalisatoren und Signalgeber, die ständig ihre Position melden.

Als die Gruppe um Chimangoziadichi einen überlichtschnellen Aufklärer entwendet, muss das Schiff von all diesen Sicherheitsmechanismen gesäubert werden, ohne dass das Fehlen auffällt. Dazu ist umfangreiches Wissen und technisches Knowhow nötig, auf allen Betriebsebenen in Hard- und Software. Jahrzehnte sind nötig, um das Knowhow zusammenzutragen und um Hardware und Software bereitzustellen, mit denen man die Sicherungen zu entfernen kann. Es ist ein riskantes Unternehmen, aber es gelingt. Die Menschheit bekommt so ihr erstes eigenes überlichtschnelles Schiff.

Mit diesem leichten Aufklärer gründen die Partisanen nicht nur eine eigene Kolonie. Sie benutzen das Schiff auch, um Hardware zu beschaffen. Die Menschen entwenden modernes Gerät aus kisorischen Frontdepots. Chimangoziadichi nutzt ihre Sicherheitseinstufung, um die Lage von Depots zu bestimmen. Sie fälscht Logs und Bestandslisten und sie versteckt zusätzliche Materialanforderungen in den normalen Aktivitäten ihrer Einsätze. All das ist sehr gefährlich und immer wieder gibt es kritische Situationen, in denen die Untergrundtätigkeit beinahe entdeckt wird. Mehrmals wird ihre Gruppe nur durch einen glücklichen Zufall gerettet. Einmal versagt ein Positionsmelder, den das Reinigungsteam übersehen hatte. Ein anderes Mal entdeckt ein Kisor-loyaler Schiffskommandant aus dem "forcierten Menschenprogramm" die geheimen Aktivitäten. Seine Einheit wird in einem Gefecht gegen kelanische KIs zerstört bevor er seine Entdeckung melden kann. Ein kisorischer Kreuzer beobachtet wie die Menschen ein Frontdepot benutzen und seine Nachforschungen führen den kisorischen Kommandanten auf die Spur der Verschwörung. In einer gewagten Kommandoaktion können die Menschen den Kreuzer in eine Falle locken, entern und seine Vernichtung vortäuschen, inklusive der Fälschung des Einsatzberichts und der gesamten Telemetrie.

Die Partisanen beginnen um 10.960 v.u.Z. Technologie aus externen Quellen zu beschaffen. Inzwischen sind ihnen einige ehemalige kelanische Robotschiffe in die Hände gefallen. Die sind wesentlich besser bewaffnet als der erste leichte Aufklärer. Die Robotschiffe werden ferngesteuert. Sie dienen praktisch als Raketenplattformen. Mit dieser Feuerunterstützung entwenden die Partisanen technische Geräte von Außenposten anderer Völker und sie überfallen zivile Frachter. Die erbeutete Ausrüstung und die Schiffe verkaufen sie auf Handelsposten in den Grenzgebieten des kisorischen Reiches. Dort gibt es viele Völker, Gegner der Kisori und Verbündete. Viele stehen dem Reich indifferent gegenüber. Es gibt tausende Fraktionen und Millionen Habitate in einem Umkreis von 100 Lichtjahren. Es gibt Rohstoff-Extraktionsanlagen, industrielle Fabrikation und Handelsplätze für Hard- und Software. Nur wenige werden von Kisori betrieben. Die meisten von Firmen, Konglomeraten, Kollektiven und unzähligen anderen Organisationsformen fremder Völker und Fraktionen.

Die Erd-Partisanen sind nun Piraten. Piraterie ist in den Grenzbereichen allgegenwärtig. Alle Strukturen, von Habitaten über Planetenorbitale bis zu ganzen Sonnensystemen, schützen sich durch eigene Verteidigungssysteme, durch Versicherungen bei Sicherheitsdienstleistern oder durch das Gewaltmonopol einer souveränen Macht. Im Inneren des kisorischen Reiches ist natürlich das Reich die Garantiemacht. Aber in den Grenzbereichen ist die Sicherheitslage sehr unterschiedlich und individuell. Unter der Vielfalt von fremden Völkern, Mentalitäten und Moralvorstellungen gibt es immer Fraktionen, die es als ihr Recht ansehen, sich zu nehmen, was verfügbar ist. Die Piraten von moralisch mit Menschen und Kisori kompatiblen Völkern sind nur ein Teil der Bedrohung. Es gibt auch Völker deren Biologie andere moralische Dimensionen erzeugt, die nicht in unseren Maßstäben zu messen sind und mit denen man einfach zurechtkommen muss. Das ändert aber nichts daran, dass die Erd-Partisanen Piraten sind und sich außerhalb des akzeptierten Moralspektrums ihrer eigenen Zivilisation bewegen, sowohl ihrer nordafrikanischen als auch der kisorischen.

In den 300 Jahren in denen Kisori und Menschen Kontakt hatten, gab es schon einige andere Fälle in denen Menschen kisorische Schiffe an sich gebracht und damit Piraterie betrieben haben. Chimangoziadichi war am Anfang ihrer Laufbahn selbst schon im Einsatz gegen solche Piraten von der Erde. Jetzt unterstützt sie selbst Piraten. Ihre Erd-Partisanen sind wesentlich besser ausgerüstet und organisiert als die üblichen Barbarenvölker, die irgendwie an ein modernes Schiff gekommen sind. Die Erd-Partisanen werden von den Erd-Nostalgikern in der kisorischen Flotte unterstützt. Sie habe die Ausbildung der kisorischen Flotte und die entsprechende bioelektronische Aufrüstung inklusive einer Integration in die Schiffsysteme. Damit sind sie on par mit den Ordnungshütern des Reiches. Und durch die Informationen von Chimangoziadichi mit der Sicherheitsfreigabe eines Kampagnen-Admirals sind sie ihren Jägern oft einen Schritt voraus.

Im Jahr 10.950 v.u.Z. erobert die kleine Flotte der Erd-Partisanen eine kelanische KI-Enklave mit intakten Produktionsanlagen für Kampfmittel aller Art von Mikro-Reaktoren und Raketen bis zu Schiffen. Damit können sie alles herstellen was eine moderne Zivilisation braucht. Die Kolonie der Erd-Partisanen wächst schnell. Sie hat nun 80.000 Einwohner. Viele davon sind Veteranen aus dem Reich. 40.000 lassen sich als Entwicklungshelfer ausbilden. In wenigen Jahren sollen sie über die Erde ausschwärmen. Bioelektronisch aufgerüstet mit moderner Technologie, um als Genies unter den Menschen zu leben und die Völker der Erde aus der Steinzeit herauszuführen.

Dann kommt das Jahr 10.945 v.u.Z. Die Neutralisierungskampagne entdeckt eine große KI-Enklave, die sich bisher bedeckt gehalten hatte. Sie hat Ableger in den Oort-Wolken mehrerer benachbarter Sonnensysteme. Der Kampf gegen die KIs zieht sich monatelang hin. Die KIs scheinen immer stärker zu werden. Das liegt vor allem daran, dass sie nur allmählich ihre wahren Kapazitäten offenbaren. Die Kampagnenkräfte unter dem Kommando von Chimangoziadichi müssen durch kisorische Kräfte verstärkt werden. Es gibt viele Gefechte und einige größere Schlachten. Die KIs verteidigen ihre Positionen nicht nur unerwartet stark, sie machen auch Terrorangriffe auf bewohnte Systeme der Umgebung. Zusammen mit den jeweiligen Systemverteidigungskräften versucht das Reich solche Angriffe abzuwehren. Der Aufwand ist so groß, dass Fronttruppen aus den Grenzregionen abgezogen werden müssen. Die Konfliktzone erstreckt sich über 100 Lichtjahre. Fast der ganze Zentrumssektor des Reiches ist betroffen. Flottenadmiral Hankokugurahamu übernimmt das Kommando. Flotten mit tausenden Einheiten bekämpfen die Hauptknoten der KI-Zivilisation während Suchgeschwader unter Chimangoziadichi benachbarte Systeme absuchen.

Im zweiten Jahr des Krieges beobachtet die goldene Flotte eine massive Häufung von KI-Kräften bei einem Hauptknoten. Die KIs scheinen sich für einen Großangriff zu sammeln. Auch die goldenen Flotte versammelt ihre Kräfte. Die Suchgeschwader brechen ihre Aktivitäten ab, um die Flotte zu verstärken. Nach einigen Wochen setzt sich die Masse der KI-Kräfte in Bewegung. Nur ein kleiner Teil bleibt zurück, um den Standort der KI-Zivilisation zu verteidigen. Die goldene Flotte muss entscheiden, ob sie den Standort angreift oder den KI-Kräften folgt. Die KI-Kräfte bewegen sich mit moderater Überlichtgeschwindigkeit in Richtung Kisor. Die goldene Flotte folgt, um einen eventuellen Überfall auf Kisor zu verhindern. Aber schon nach 30 Lichtjahren brechen die KIs ihren Flug ab und sammeln sich in einem unbewohnten Sonnensystem. Die Erkundung zeigt, dass das System nicht ganz unbewohnt ist. Im äußeren Gürtel gibt es einen braunen Zwergstern, der einen Knoten der KI-Zivilisation beherbergt, und im inneren System ist der Planet, auf dem die Erd-Partisanen von Chimangoziadichi ihre Kolonie gegründet haben.

Hankokugurahamu gibt den Befehl zum Angriff auf die KIs, die den braunen Zwergstern schützen. Er hat das Oberkommando und führt selbst etwa 2.000 schwere kisorisch besetzte Einheiten. Zur Flotte gehören außerdem 3.000 Einheiten von Verbündeten, 150 von Menschen besetzten schwere Trägergruppen mit insgesamt 6.000 Einheiten und 5.000 kisorische Einheiten, die mit anderen Hilfsvölkern des Reiches besetzt sind.

Mit dem Angriff beginnt eine komplexe Flottenoperation. Die Kampfzone umfasst das gesamte Planetensystem des braunen Zwergs. Ein Ellipsoid, das sich über 100 Millionen Kilometer erstreckt. Die Flotten stoßen nicht massiert aufeinander. Es gibt unzählige Teilaktionen, Vorstöße, Scheinangriffe, Umfassungsmanöver und extraekliptische Sprints. Die schweren Trägergruppen tragen die Hauptlast des Angriffs. Minenleger sichern Flanken, Langstreckenraketen reißen Löcher in die Abwehr bevor Angriffskräfte aufeinandertreffen. Die KIs weichen zurück. Sie konzentrieren die Verteidigung auf die wichtigsten Stützpunkte. Die goldene Flotte rückt nach.

Plötzlich bricht die Hälfte der KI-Einheiten aus der Kampfzone aus. Sie nehmen Kurs auf das innere System. Die Richtung wird schnell klar. Das Ziel ist der Planet mit der Kolonie der Erd-Partisanen.

Für die goldenen Flotte bietet sich damit eine perfekte Gelegenheit, in voller Stärke gegen die aufgeteilten KI-Kräfte vorzugehen. Aber Chimangoziadichi befiehlt ihren Einheiten, den KIs zu folgen und den inneren Planeten zu schützen. Sie widersetzt sich dem Befehl von Hankokugurahamu, die Reihen geschlossen zu halten. Mit dem Abzug der von Menschen besetzten Träger entfällt ein großer Teil des Raketenschilds für die Hankokugurahamu's Einheiten. Deren Ausfallraten steigen drastisch an. Gleichzeitig eröffnet die statische Verteidigung der KIs im ganzen Mondsystem des braunen Zwergs das Feuer. Die goldene Flotte ist schon tief im System. Sie wird nun aus allen Richtungen beschossen. Von innen, außen und orbital durch die festen Verteidigungsanlagen, von oben und unten durch die mobilen Kräfte der KIs, die zurückgeblieben sind. Der Abzug von Chimangoziadichi's schweren Trägern ist fatal für den Rest der goldenen Flotte.

Chimangoziadichi will um jeden Preis die Partisanen-Kolonie schützen. Sie schickt ihre Träger auf einen extraekliptischen Abfangkurs. Ihre schnellen Zerstörer, die sonst zur der Trägerverteidigung abgestellt sind, fliegen voraus und bauen einen virtuellen Schutzwall zwischen den KIs-Einheiten und dem Planeten auf. Hinter den KIs-Einheiten folgen die Träger selbst. Die KIs, die in der Ekliptik in das innere System vorgestoßen waren, vermeiden die Konfrontation. Sie bremsen ab bevor sie dem Planeten nahekommen können. Ihnen bleibt ein Fluchtweg zurück zum braunen Zwerg. 20 Stunden später erreichen sie wieder die Kampfzone um den braunen Zwerg. Ihre Rückkehr besiegelt das Schicksal der goldenen Flotte.

Die taktische Entscheidung der KIs, auf dem Höhepunkt des Kampfes ihre Kräfte zu teilen, war nur sinnvoll, wenn man annimmt, dass sie beabsichtigten damit die goldenen Flotte in Unordnung zu stürzen. Das bedeutet, dass sie wussten, dass die Kolonie des inneren Planeten zu den Erd-Partisanen um Chimangoziadichi gehört und dass sie Chimangoziadichi's Reaktion richtig vorhersagen konnten. Die KIs hatten anscheinend unerwartet gute nachrichtendienstliche Erkenntnisse über die Teilkräfte der goldenen Flotte, über die Motive der menschlichen Besatzungen, zum Konfliktpotential zwischen Menschen und Kisori und wohl auch ausführliche psychologische Profile der Führungspersönlichkeiten. Offensichtlich hatten sie von Anfang an geplant, eine große Streitmacht des Gegners in einem stark befestigten Bereich in eine Falle laufen zu lassen. Der Anflug auf den Planeten war vermutlich nur eine Finte. Im Nachhinein betrachtet, war der langsame Anflug innerhalb der Ekliptik genau richtig bemessen, um einen Zielkonflikt zwischen Menschen und den Kisori auszulösen. Die KIs wollten den Planeten gar nicht angreifen. Für sie ist es viel wertvoller, die Kolonie als Problem zwischen Menschen und Kisori zu erhalten. Der Planet mit der kleinen Kolonie von Erd-Partisanen war nie ein strategisch relevantes Ziel.

Die KIs haben es geschafft, nicht nur die Kräfte des Gegners zu teilen und zu schwächen, sondern sie haben vor allem eine Meuterei provoziert und damit einen strategischen Schaden verursacht, der weit über die Verluste an Material hinausgeht.

Es ist sogar möglich, dass das ganze Szenario über Jahrzehnte geplant war. Möglicherweise haben die KIs die Kolonie von Erd-Partisanen schon lange vorher entdeckt. Sie haben die Stützpunkte bei dem benachbarten braunen Zwergstern angelegt, um eine taktische Situation zu schaffen mit der sie nicht nur eine große gegnerische Flotte in die Falle locken, sondern auch ein wichtiges Hilfsvolk der Kisori neutralisieren können. Damit gelingt es ihnen, die Verteidigung des gesamten Sektors zu schwächen.

Der Vorgang deutet auf ein erschreckend hohes Niveau von strategischer Simulation und langfristiger Planung bei den KIs hin. Offensichtlich haben auch die KIs in den fast 100 Jahren der Neutralisierungskampagne viel gelernt.

Chimangoziadichi's Trägergruppen bleiben im inneren System. Admiral Hankokugurahamu entkommt der Falle knapp mit einem Drittel seiner ursprünglichen Kräfte. Es ist die größte Niederlage des kisorischen Reiches seit 100 Jahren.

Aber der wahre Schaden besteht im Vertrauensverlust der Kisori in die Menschen als Hilfsvolk. Die Kisori sehen nicht in der Falle der KIs, sondern in Chimangoziadichi's Meuterei den Hauptgrund für die Vernichtung der goldenen Flotte in diesem Sektor. Gleichzeitig wird die Kolonie der Erd-Partisanen bekannt. Damit werden die subversiven Aktivitäten der Erd-Partisanen in der goldenen Flotte aufgedeckt. Dazu kommt die Erkenntnis, dass die Menschen, denen die Kisori so sehr vertraut hatten, für einen wesentlichen Teil der Piraterie im Sektor verantwortlich sind. Aus Sicht der Kisori haben die Menschen schweren Verrat mit fatalen Folgen für das Reich begangen. An der Verschwörung der Erd-Partisanen sind nicht nur einzelne Menschen beteiligt, sondern sehr viele Menschen, von der Erde und von den "neuen Menschen", von Technikern bis hinauf zu Admiral Chimangoziadichi. In einer kritischen Situation haben die Menschen ihr Wohl über das der goldenen Flotte gestellt. Man kann ihnen nicht mehr vertrauen. Das kisorische Oberkommando beschließt deshalb, das Menschenprogramm zu beenden.

Das ist auch Chimangoziadichi bewusst. Sie befürchtet schlimme Konsequenzen für die Kolonie der Erd-Partisanen, für die Erde und auch für die "neuen Menschen" im Kisor System.

Ein Teil der von Menschen besetzten Einheiten läuft zur goldenen Flotte über. Einige Besatzungen sind mit der Meuterei nicht einverstanden. Sie stehen weiterhin loyal zum Reich. Und sie hoffen, dass die Kisori von Strafen absehen, wenn nur genügend Einheiten freiwillig zurückkehren.

Die anderen Schiffe werden von kisorischen Überwachungsprotokollen gereinigt. Die Menschheit verfügt nun über 4.000 überlichtschnelle Kampfeinheiten, darunter 100 schwere Träger. Die Speerspitze der goldenen Flotte im Zentrumsektor ist in der Hand der Menschen. Admiral Hankokugurahamu ist mit seiner geschlagenen Flotte nicht in der Lage dagegen anzugehen. Er zieht sich zurück.

Chimangoziadichi lässt eine kleine Schutzflotte im Orbit der Partisanen-Kolonie. Sie schickt die eine Hälfte ihrer Streitmacht in das Solsystem, um die Erde zu schützen. Mit der anderen Hälfte versucht sie schnell nach Kisor zu kommen, um die "neuen Menschen" zu evakuieren. Sie weiß, dass die Habitate des "forcierten Menschenprogramms" im Kisor System nun praktisch Geiseln der Kisori sind. Sie will die Kisori überraschen. Sie hat die Hoffnung, dass die Kisori eine Evakuierung zulassen, wenn die Menschen versprechen, auf Gewalt gegen das Kisor-System zu verzichten.

Als sie das Kisor System erreicht, ist die Verteidigung schon alarmiert. Hankokugurahamu's Kuriere waren schneller als Chimangoziadichi's Träger und ihre Begleitschiffe.

Kisor ist das Zentrum eines interstellaren Reiches auf dem Höhepunkt seiner Macht. Den 2.000 Einheiten der neuen Erd-Flotte steht eine große Übermacht entgegen. Kisor hat nicht nur viel mehr bewegliche Kräfte, die für Systemverteidigung optimiert sind, sondern auch eine gut ausgebaute statische Verteidigung, die tief im System gestaffelt ist. Schon bei 12 Lichtstunden Entfernung stößt die Erdflotte auf vorgeschobene Posten im äußeren Gürtel. Aber auch abseits der Ekliptik gibt es Befestigungen mit Langstreckenraketen. Die Aufklärung zeigt ein Ellipsoid von Tiefraumsperren bei ein bis 2 Lichtstunden, weit außerhalb der bewohnten Planeten. Die neue Erd-Flotte kann nicht in das innere System vordringen.

Chimangoziadichi hatte die Verteidigung des Kisor-Systems unterschätzt. Trotz ihres Rangs als Admiral hatte sie dazu keine militärischen Informationen. Sie stammt zwar selbst aus dem Kisor-System, aber sie kennt es nur als Zivilistin. Sie hat ihr Leben in den Grenzgebieten verbracht. Das Zentrum des Reiches ist mächtiger, als man es sich in den äußeren Sektoren vorstellen kann.

Chimangoziadichi fordert die Evakuierung der "neuen Menschen". Sie droht mit Angriffen auf Installationen im äußeren System. Aber die Kisori verhandeln nicht. Die Erd-Flotte fliegt Angriffe auf Stützpunkte im äußeren Verteidigungsellipsoid. Wenn Einheiten in das innere System vordringen wollen, werden sie von massiven Wellen an Langstreckenraketen, mobilen Systemverteidigungskräften und Railgun-Feuer empfangen. Beide Seiten wissen, dass die Erd-Flotte diese Angriffe nicht lange fortsetzen kann. Ihr fehlen die Unterstützungseinheiten mit Nachschub, Munition, Treibstoffen und Ersatzteil-Fabs.

Nach einem Monat muss die Erd-Flotte ergebnislos abziehen. Chimangoziadichi wird das Schicksal der "neuen Menschen" und ihrer Habitate nie erfahren. Die Menschen der Erde wissen nicht, was mit ihren Schwestern und Brüdern geschehen ist, ob sie interniert wurden, ins Exil geschickt oder getötet wurden. Ihre Spur verliert sich in den Jahrtausenden.

Chimangoziadichi kehrt in das Solsystem zurück. Priorität hat jetzt der Schutz der Erde vor Vergeltungsmaßnahmen des Reiches. Es ist eine schwierige Situation, denn die Erde und das Solsystem liegen tief im Reich, näher bei Kisor als an den Grenzregionen. Die Menschen haben zwar eine starke Flotte, aber das Solsystem ist nicht befestigt. Es gibt keine Möglichkeit das System aus eigenen Kräften so aufzurüsten, dass es einem großen Angriff standhalten kann. Selbst stark industrialisierte und wohlhabende Systeme brauchen Jahrzehnte, um eine solide Systemverteidigung aufzubauen. Dazu müssten Gigatonnen Kampfmittel für statische und mobile Verteidigungskomponenten hergestellt werden. Teratonnen an Tiefraumsperren und Milliarden Railguns eines Ballistikschilds müssten im System verteilt werden. Das ist ohne eine gigantische industrielle Infrastruktur nicht möglich.

Und die Probleme gehen noch weiter. Chimangoziadichi's neue Erd-Flotte ist zwar eine der größten Ansammlungen von interstellaren Offensiveinheiten des Sektors. Aber es gibt keinen Nachschub. Das Solsystem ist nicht industrialisiert. Es gibt keine Infrastruktur für langfristige Operationen. Die Produktionskapazitäten der Erd-Partisanen sind verschwindend gering. Sie waren komfortabel für eine kleine Partisanenflotte. Aber 100 Trägergruppen, die permanent manövrieren und in Gefechten Hightech-Munition verbrauchen, von Railgun-Darts bis zu Langstreckenraketen mit Antimateriesprengköpfen, sind eine ganz andere Größenordnung.

Die Menschen wissen nicht, ob das Reich die Erde angreifen will. Und auch nicht mit welchen Konsequenzen. Würde das Reich die Erde zerstören, um ein Exempel zu statuieren? Oder würden die Kisori sich darauf beschränken, die gestohlenen Schiffe zurückzufordern und sonst die Menschen sich selbst überlassen? Die weitere Vorgehensweise ist umstritten. Chimangoziadichi plädiert dafür, so viele Menschen wie möglich von der Erde zu evakuieren und weit entfernt Kolonien zu gründen. Eine radikale Fraktion der Erd-Nostalgiker will die Erde um jeden Preis verteidigen. Es kommt zu einem Machtkampf in der Führungsgruppe. Die Erd-Verteidiger setzen sich durch. Eine Gruppe von Gemäßigten Erd-Partisanen um Chimangoziadichi versucht einige Monate später die Kontrolle der Interstellarschiffe an sich zu bringen. Sie haben die Absicht, die Schiffe an Kisor auszuliefern in der Hoffnung, dass die Kisori Milde walten lassen. Der Plan wird vereitelt.

Chimangoziadichi entkommt mit einigen Anhängern auf einem interstellaren Aufklärer. Sie ist 185 Jahre alt. Eigentlich müsste sie schon im Ruhestand sein. Aber das kisorische Oberkommando ließ sie im Dienst, um die schwierigste Phase der KI-Neutralisierungskampagne zu managen. Und sie selbst wollte ihre Position als Kampagnen-Admiral behalten, um die Erd-Partisanen aufzubauen. Ihre Spur verliert sich zwischen den Sternen.

Die Erd-Verteidiger versuchen nun so schnell wie möglich den Nachschub der Flotte zu sichern. Aber die bestehenden Produktionskapazitäten reichen dafür nicht aus. Es gibt fast keine Rohstoffextraktion im Solsystem. Außerdem fehlt ausgebildetes Personal, das industrielle Fabs überwachen und optimieren könnte.

Die Menschen beginnen deshalb Material, Produktionskapazitäten, Rohstoffe und Personal außerhalb des Solsystems zu requirieren. Die eine Hälfte der Erd-Flotte schützt die Erde, während die andere Hälfte die Nachbarn besucht. Die anderen Völker sind hilflos gegen so eine militärische Macht. Die Menschen beschlagnahmen Produktionsgüter. Sie brauchen Anlagen zur Rohstoffgewinnung und Materialverarbeitung, Extraktoren, Separatoren, Produzenten von Metamaterialien, industrielle Fabs, Integrationswerke, Steuerungen, Transportkapazität, Kraftwerke und vieles andere mehr. Außerdem benötigen sie Knowhow von Systemintegratoren, Industriedesignern, Betriebsoptimierern und KI-Managern. Die Menschen zwingen ihre Nachbarn Material, Personal und Transportkapazitäten zur Verfügung zu stellen. Viele Sophonten werden entführt, Schiffe gestohlen, Produktionsanlagen entwendet und Fab-Input abtransportiert. Die betroffenen Völker wehren sich. Die Erd-Flotte ist in viele Kleinkriege verwickelt. Systemverteidigungskräfte werden vernichtet, Befestigungen werden zerstört, Habitate werden besetzt, orbitale Infrastruktur wird geplündert und Aufstände werden niedergeschlagen.

Aus der Sicht des Reiches und der anderen Völker sind die Menschen nun Neobarbaren. Vor kurzem waren sie noch eines der wichtigsten Hilfsvölker des Reiches. Jetzt haben sie moderne Schiffe mit Hightech-Kriegsmitteln, obwohl sie aus einer barbarischen primitiven Kultur stammen. Die Schiffe wurden den Menschen im Dienst des Reiches zur Verfügung gestellt, um das Reich und seine Untertanen zu beschützen. Nun werden die Schiffe zweckentfremdet, um andere Völker des Reiches zu überfallen. Es ist das klassische Profil von Neobarbaren.

Schon bald zeigt sich, dass der größte Teil der gestohlenen Güter darauf verwendet werden muss, die Fähigkeiten für weitere Plünderungen aufrechtzuerhalten. Das verfügbare menschliche Personal ist damit beschäftigt Habitate zu erobern, gegen Widerstände vorzugehen und Besatzungen aufrechtzuerhalten. Auch die entführten Sophonten werden vor allem zum Betrieb der Kriegswirtschaft eingesetzt. Nur ein kleiner Teil der Beute kommt wirklich dem Aufbau der Infrastruktur im Solsystem zugute.

Es ist nicht bekannt, ob das Reich von vornherein gegen die Erde vorgehen wollte. Der Angriff auf das Kisor-System war eine Provokation, die das Reich eigentlich nicht unbeantwortet lassen konnte. Aber dabei wurde kein großer Schaden angerichtet. Das Reich hat viele Grenzen und die goldene Flotte ist ständig im Einsatz. Außerdem ist die KI-Kampagne noch nicht beendet. Im Gegenteil, das Reich hat gerade eine schlimme Niederlage gegen die KIs erlitten, obwohl alle interstellaren Angriffskräfte eines ganzen Sektors aufgeboten wurden. Das Reich müsste jetzt in die nächste Eskalationsstufe gehen und Kräfte aus mehreren seiner 20 Sektoren zusammenziehen. Eine riesige Aufgabe für die nächsten Jahre. Vielleicht hätte das Reich die Menschen lange ignoriert, wenn sie die erbeuteten Schiffe abgegeben oder sich zumindest ruhig verhalten hätten. Aber die Menschen verhalten sich nicht ruhig. Und das Reich kann ein neues Neobarbarenproblem innerhalb seiner Grenzen nicht ignorieren.

Immer wieder fällt Technologie in die Hände (oder Greifer oder Tentakel) von Völkern, die nicht verantwortungsvoll mit der Machtfülle moderner Kriegsmittel umgehen. Neobarbaren gibt es immer. Sie sind vor allem jenseits der Grenzen von interstellaren Imperien aktiv oder in einem Interregnum, wenn ein Imperium zusammenbricht und nicht schnell eine neue Macht entsteht. Neobarbaren sind nur dann ein Problem, wenn es keine Ordnungsmacht gibt, die ihnen Einhalt gebieten kann. In diesem Fall gibt es eine Ordnungsmacht: das goldene Reich von Kisor.

Das Reich priorisiert sein neues Neobarbarenproblem höher als die KI-Bedrohung. Die ehemals kelanischen KIs entwickeln sich seit fast 100 Jahren. Wie das vergangene Jahr gezeigt hat, sind sie eine große Bedrohung. Aber die Menschen verbreiten durch ihre Überfälle Furcht und Unsicherheit im ganzen Sektor.

Das Reich zieht Flottenteile aus mehreren Sektoren zusammen. Das dauert einige Zeit. Andere Konflikte müssen erst beendet oder zumindest stillgelegt werden, um die Mittel freizustellen. Das Reich macht Zugeständnisse an Verbündete. Es gibt großzügige Konzessionen an Handelskonsortien und verzichtet auf einige umstrittene Gebiete. Das Oberkommando der goldenen Flotte stellt eine Streitmacht auf, die das KI-Problem beenden kann und auf dem Weg in das Zielgebiet die neuen Neobarbaren neutralisieren soll.

Mehrere Jahre vergehen, in denen die Menschen verzweifelt versuchen die Verteidigung aufzubauen. Aufklärer der goldenen Flotte beobachten den Fortschritt im Solsystem und die interstellaren Aktivitäten der Menschen. Das Reich steht im Kontakt mit vielen Opfern der solaren Neobarbaren. Kisors Diplomaten versprechen den betroffenen Systemen, dass bald Hilfe gegen die Menschen kommt. Auch die Menschen haben Kontakte. Sie wissen von der diplomatischen Aktivität des Reiches. Die Befestigung des Solsystems ist ein Rennen gegen die Zeit. Die Erd-Flotte weiß, dass Aufklärer des Reiches den Aufbau beobachten. Sie wissen, dass der Aufbau zu langsam ist. Sie wissen, dass die Kisori es wissen.

Drei Jahre später, 10.942 v.u.Z. ist das Jahr des Untergangs. Die goldene Flotte kommt den Opfern der solaren Neobarbaren zu Hilfe. Zusammen mit den verbliebenen Systemverteidigungskräften der betroffenen Völker befreit sie deren Sonnensysteme. Die Besatzungstruppen der Menschen müssen sich zurückziehen. Dann erreicht die goldenen Flotte das Solsystem. Die Erd-Flotte hat keine Chance gegen die Übermacht. Drei Viertel der Einheiten werden zerstört bevor die Menschen kapitulieren. Die goldenen Flotte verfolgt alle aus dem System flüchtenden Einheiten. Dann beginnt das Aufräumen.

Die meisten Schiffe der Menschen werden in die Sonne geschickt. Die von der goldenen Flotte entwendeten Träger, die angepassten Robotschiffe und die in den vergangenen drei Jahren produzierten Einheiten. Von den Nachbarvölkern entführten Sophonten werden repatriiert. Die inzwischen aufgebaute orbitale Infrastruktur der Erde und im Solsystem wird in die Sonne geschickt oder auf den großen Gasplaneten zum Absturz gebracht.

Alle Menschen außerhalb der Erde werden interniert. Ihre bioelektronischen Aufrüstungen werden von Med-Bots chirurgisch entfernt. Dann werden sie nach Kisor gebracht. Ihr weiteres Schicksal ist nicht bekannt. Man vermutet, dass sie ihr Leben auf natürliche Weise im Kisor-System beenden konnten. Wahrscheinlich mussten sie ohne eine moderne Verlängerung der Lebenserwartung auskommen und es gibt keine Anzeichen, dass es weitere Generationen gab.

Admiral Hankokugurahamu leitet die Aufräumaktion. Er hatte sich freiwillig gemeldet als selbstgewählte Strafe, weil die goldene Flotte unter seiner Führung die größte Niederlage seit 100 Jahren hinnehmen musste und weil die Menschen in seinem Verantwortungsbereich als Hilfsvolk verloren gingen.

Er hat den Auftrag, kisorische Technologie und modernes Wissen von der Erde zu entfernen. Dafür sind nur wenige Wochen Zeit bevor die goldenen Flotte weiterziehen muss, um ihren eigentlichen Auftrag auszuführen. Seit die goldene Flotte im Solsystem erschienen ist, arbeiten mehrere zehntausend Beobachtungssatelliten daran, alle technischen Geräte auf der Erdoberfläche zu aufzuspüren. Sie suchen optisch, im Infrarot und mit Radar aus dem Orbit in einer Auflösung von Zentimetern und im Abstand von wenigen Minuten. Sie finden fast alle größeren Geräte wie industrielle Fabs, Fahrzeuge und Kraftwerke. Alles wird abgeholt – auch gegen den Widerstand der neuen Besitzer – und in den Meeren versenkt. Ein Transport in den Orbit ist auch mit modernen Mitteln zu teuer, jedenfalls ohne eine gut ausgebaute Startinfrastruktur.

Dann kommt der schwerste Teil der Aufgabe. Der Auftrag lautet, die Erde in einen Zustand zurückzuversetzen, den sie vor der Kontaktierung hatte.

Die kinetische Bombardierung aus dem Orbit zerstört alle Städte und Dörfer in Nordafrika und die Kolonien der nordafrikanischen Kulturen auf allen Kontinenten.

Millionen Menschen kommen ums Leben. Darunter sind auch die Veteranen aus dem Dienst für das kisorische Reich und die letzten Erd-Partisanen, die sich auf der Oberfläche versteckt hatten.

Durch die Bombardierung verliert ein Antimaterie-Lager in Nordafrika den Einschluss. Die resultierende 400 Megatonnen-Explosion verwüstet Nordwestafrika und hinterlässt einen 8 Kilometer weiten Krater. Das war so nicht geplant.

Auf allen Kontinenten überstehen Mauern mit Steinen von mehreren hundert Tonnen das Inferno. Sie werden später zu Grundmauern von neuen Bauten.

Der Staub der kinetischen Bombardierung und die große AM-Explosion lösen eine kleine Eiszeit aus. Die weltweiten Durchschnittstemperaturen sinken plötzlich um 8 Grad.

Die Menschheit überlebt. Sie erinnert sich später nicht an diese Ereignisse.

Das Solsystem wird unter Quarantäne gestellt. Die Menschen sollen nicht mehr kontaktiert werden.

Einige Jahrtausende nach dem Untergang entstehen neue bronzezeitliche Kulturen auf der Erde.

Das goldene Reich besteht noch weitere 2.500 Jahre.

Auch die Kisori erinnern sich später nicht an die erste gemeinsame Geschichte mit den Menschen. Dazwischen liegen zu viele Jahrtausende, der Aufstieg und der Untergang von mehreren Zivilisationen. Details wie der Aufstand eines Hilfsvolks in einem einzelnen Sektor sind vergessen. Irgendwann ist das goldene Reich selbst nur noch eine Erinnerung an die glorreiche Vergangenheit.

Ironie der Geschichte I: die Menschen hatte lange Zeit Probleme mit Neobarbaren. Vom wirtschaftlichen Niedergang im 29. Jahrhundert bis zur einer 250 Jahre langen Besetzung das Solsystems. Die solare Menschheit betrachtet sich später immer als Hochkultur. Und die sieht auf die Neobarbaren herab. Aber der Hankokugurahamu-Bericht erzählt von einer Zeit, in der die Menschheit selbst zu den Neobarbaren zählte und die interstellare Nachbarschaft terrorisierte.

Ironie der Geschichte II: Im 30. Jahrhundert stellten Menschen die Besatzungen und das Kriegsmaterial in einem Krieg an dessen Ende die Kisor-Zwillinge durch kinetische Bombardierung ausgelöscht werden. Die Planeten werden zu Eiswüsten und erst 150 Jahre später wieder besiedelt. Hankokugurahamu berichtet, dass er als Admiral einer kisorischen Flotte die kinetische Bombardierung der Erde befohlen hatte. Er tötet Millionen und löst eine Eiszeit aus. Die Erde braucht Jahrtausende, um sich zu erholen. Man könnte sagen, dass Menschen und Kisori quitt sind. Es steht eins zu eins.

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