Reshumanis, die Allianz zur Befreiung des Solsystems von der dellianischen Fremdherrschaft, erhält einen Versorgungsstützpunkt beim Saturn. Rohstoffe und Material für die Aktivitäten im Solsystem können nun lokal beschafft werden und müssen nicht mehr über interstellare Distanzen transportiert werden. Ein wichtiger Schritt für die Rückgewinnung des Solsystems.
-- 2967, 30 Jahre vorher --
Ein Mann geht die Rampe hinunter auf das Dock des Titan-Terminals. Er ist groß, athletisch, charismatisch. Noch ist er ein Niemand. Keiner kennt ihn. Aber das wird sich bald ändern. Er ist Dellianer und er wird in der dellianischen Hierarchie aufsteigen. Dafür wurde er gemacht. Er hat ein Multitasking-Bewusstsein, ein beschleunigtes Nervensystem, Assoziationsbooster, die dellianische Variante des Ninja-Upgrades und genetisch angelegte Genie-Fähigkeiten im Memetik-Bereich. Er ist überzeugend. Er weiß, wie man sich durchsetzt und er wird sich durchsetzen. Er braucht 20 Jahre bis an die Spitze. Dann wird er Satirax, der Protektor des Saturn. Er glaubt, er kommt von den schwebenden Habitaten der Venus. Aber das ist eine eingepflanzte Erinnerung. Tatsächlich kommt er von Valerius, aus einem Spezialprogramm des memetischen Abwehrdienstes von Valerius.
--
Die Tatsache, dass Satirax, der dellianische Protektor des Saturn, den Menschen einen Stützpunkt gewährt, erscheint wie ein Wunder. Diese Öffnung bedroht die Herrschaft der Dellianer im Solsystem. Das weiß Satirax genauso wie der Protektor von Sol auf der Venus und alle anderen Protektorate im System. Aber für die lokalen Protektoren ist die Kontrolle ihres eigenen Machtbereichs wichtiger, als die eher abstrakte dellianische Gesamtherrschaft. Der Vorgang ist die Folge einer religiösen und wirtschaftlichen Entwicklung im äußeren System.
Satirax erhält für die Überlassung des Stützpunkts eine Pacht und für Ressourcenextraktionsrechte technische Unterstützung der Reshumanis und einen Anteil an den gewonnenen Rohstoffen. Für den Protektor des Saturn ist der Handel dringend nötig, denn das Protektorat Saturn ist in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Die nach der Eroberung übernommene Infrastruktur ist nun gut 200 Jahre alt und schlecht gewartet. Ausrüstung, die auf dem Höhepunkt der Barbarenwelle geplündert wurde, ist sogar über 300 Jahre alt. Obwohl Autofabs und Reparaturschwärme sehr lange selbständig laufen können, macht sich der Verschleiß inzwischen bemerkbar. Gleichzeitig befindet sich die Bevölkerung im Niedergang. Es gibt nicht genügend Fachkräfte unter den menschlichen Sklaven und autonomen Mechs, um alle Anlagen manuell zu warten oder zumindest Wartungsbots in Betrieb zu halten. Der Niedergang der Wirtschaft reduziert das interplanetare Handelsvolumen zwischen äußerem und innerem System. Luxusgüter aus dem inneren System sind für den Saturn inzwischen unbezahlbar.
Die Schwierigkeiten des Saturn werden verstärkt durch ein religiös motiviertes Embargo der anderen äußeren Protektorate. Um das Jahr 2990 war Satirax mit seinem Hofstaat vom speziellen Uthoismus zum allgemeinen Uthoismus übergetreten. Einige Lehren des allgemeinen Uthoismus gelten den Anhängern des speziellen Uthoismus als Frevel. Aus der Sicht des speziellen Uthoismus sind die Allgemeinen schlimmer als Ungläubige, denn sie ignorieren nicht nur die Lehre des Uthoismus sondern sabotieren diese.
Kern des Uthoismus (Hindi, "sich erheben") ist die These, dass das Leben ein Auftrag des Universums ist, nach dem höchsten Glück zu streben. Mit dem Erreichen des perfekten Glückszustands kann das Individuum seine weltliche Hülle verlassen und zum transzendenten Wesen im Einklang mit dem Universum werden. Bürger in wohlhabenden Zivilisationen – und die Mächtigen in allen anderen technisch hochentwickelten Gesellschaften – sind im Wesentlichen unsterblich. Sie leben sehr lange in biologischen Körpern, später mit künstlichen Organen und technischer Unterstützung und schließlich als Uploads in Androidenkörpern oder in Simulationen. Der Tod ist eher ungewöhnlich. Das schadet der Attraktivität von ewigem Leben und Wiedergeburt nach dem Tod. Stattdessen wird in vielen Religionen eher ein besonders bemerkenswertes Ende nach einem langen guten Leben angestrebt. Das gilt auch für den Uthoismus, wo die Gläubigen das Ziel haben, nach einem langen glücklichen Leben auf dem Höhepunkt des Glücks mit dem Universum eins zu werden. In der Praxis werden zur Erreichung des transzendenten Zustands oft technische und biochemische Hilfsmittel verwendet.
Orthodoxe Uthoisten lehnen solche Hilfsmittel ab. Sie versuchen durch ihren gesellschaftlichen Status und die damit verbundene Macht glücklich zu werden. Dafür streben sie die höchsten Ebenen der dellianischen Hierarchie an. Sie vertreten den speziellen Uthoismus bei dem nur die Besten und Mächtigsten den höchsten Zustand erreichen. Orthodoxe Uthoisten sind oft sehr machtbesessen, rücksichtslos und erfolgreich. Für die Gläubigen des speziellen Uthoismus ist das Glück ein Nullsummenspiel. Andere müssen verlieren, damit sie gewinnen können. Deshalb ist es nur einer geringen Anzahl Individuen vergönnt, den transzendenten Zustand zu erreichen. Da Glück und Reichtum korreliert sind, haben die Mächtigen die besten Chancen. Daraus leiten die Mächtigen einen größeren Anspruch ab und im Umkehrschluss keinen Anspruch auf Transzendenz – und Glück – für niedrigere Ränge und Sklaven.
Im allgemeinen Uthoismus ist das Glück dagegen unbeschränkt und jeder Sophont kann die Transzendenz anstreben. Nach dem allgemeinen Uthoismus gilt das auch für Sklaven, obwohl deren Weg offensichtlich weiter und schwerer ist. Anhänger des allgemeinen Uthoismus werden von den Speziellen gehasst und verfolgt, da die Speziellen der Meinung sind, dass die Allgemeinen ihre Chancen auf Transzendenz verringern.
Unter Dellianern dominiert der spezielle Uthoismus. Viele Spezielle bemühen sich, ihre eigenen Chancen zu verbessern, indem sie andere am Glück hindern. Besonders menschliche Sklaven, aber auch niedrige dellianische Ränge werden schlecht behandelt oder sogar misshandelt, um deren Glückspfad zu erschweren. Jede Ebene der dellianischen Hierarchie im Solsystem versucht die untergeordnete Ebene zu unterdrücken. Auch viele Sklaven haben den Uthoismus angenommen oder handeln zumindest entsprechend, um nicht aufzufallen. Dadurch zieht sich die Praxis der Misshandlung von Untergebenen bis in die Ränge der Sklaven. Uthoismus ist nicht nur eine Religion, sondern auch ein effizientes Unterdrückungsinstrument.
Mit dem Übertritt zum allgemeinen Uthoismus verrät Satirax aus Sicht der dellianischen Mehrheit den Uthoismus. Unter der Herrschaft von Satirax dürfen sich alle Sophonten auf den Glückspfad begeben, auch wenn der Weg für die Sklaven sehr schwierig ist. Für orthodoxe Uthoisten verringern sich dadurch ihre Chancen auf Transzendenz. Sie bekämpfen deshalb Allgemeine wie Satirax. Mit dem Embargo gegen das Saturn-Protektorat versuchen die anderen Protektoren, Satirax in die Knie zu zwingen, um wieder einen Rechtgläubigen als Protektor des Saturn einzusetzen. In der Not öffnet Satirax sein Protektorat für die interstellare Reshumanis. Ein wichtiger Schritt für die Rückgewinnung des Solsystems.
-- 2987, 10 Jahre vorher --
Eine Frau geht die Rampe hinunter. Sie ist schön, atemberaubend schön, nicht für Menschen, aber für Dellianer. Für Dellianer ist sie eine Göttin. Und sie ist intelligent, aufmerksam, unterhaltsam, zurückhaltend, manchmal ausgelassen und wild. Sie ist das personifizierte dellianische Schönheitsideal. Das Ergebnis von 200 Jahren Optimierung, von Simulationen, Tests und Iterationen. Die ursprüngliche Genvorlage basiert auf Jahrtausenden natürlicher Selektion in den Palästen von Dellia, lange bevor Dellianer interianische Raumschiffe bestiegen, um den Sektor zu erobern. In den Labors von HR-Technologies auf Valerius wurde ihre Genlinie für den Auftrag präpariert. Moderne solare Gensynthese angewendet auf die dellianische Biologie. Die Genlinie – ihr dellianischer Name bedeutet Andromeda, nach unserer Nachbargalaxie – war schon lange ein Ideal. Auf Valerius bekam sie zusätzliche Empathiebooster, Intelligenz-Upgrades und die genetische Programmierung, ihren Auftrag zu lieben. Sie wurde mit den modernsten Methoden ausgebildet und ist an planmäßig gestellten Herausforderungen zu einem selbstbewussten Charakter herangewachsen. Ein wichtiger Teil ihres Lebens war immer der Glaube an das Glück für alle Wesen. Sie wurde erzogen im Glauben, dass alle eine Chance haben sollen sich zu erheben und mit dem Universum eins zu werden. Sie ist das Endprodukt einer langen Reihe von Optimierungen, in der Genvorlage und in den prägenden Erlebnissen ihrer Jugend. Sie ist perfekt, perfekt gemacht. Perfekt für eine Person: den Protektor des Saturn. Sie ist das Geschenk eines Marui-Handelsfürsten für den Herrscher des Saturnsystems. Ihr Auftrag: Satirax vom wahren Glauben zu überzeugen.
--
Valerius war schon früh immer wieder von Barbarenüberfällen betroffen. Die Angreifer kamen mit automatischen Waffensystemen, die sie aus imperialen Depots entwendet hatten. Die Heimatverteidigung von Valerius hatte keine Chance. Deshalb waren einige Leute auf Valerius der Meinung, dass man nicht bei der Technik, sondern bei den Besatzungen der Raumschiffe ansetzen müsste, vielleicht sogar bei ihren Anführern. Das Spartakus-Projekt sollte die hochentwickelte solare Gentechnologie für Alien-Biologie nutzbar machen. Vor allem für Dellianer und andere Völker aus den Badlands. Es sollte Genvorlagen entwickeln und optimierte Individuen herstellen. Nicht alle waren davon überzeugt, dass es eine gute Idee ist, den Dellianern perfekte Anführer zu geben. Aber wenn man etwas so gut kennt, dass man es perfektionieren kann, dann kennt man auch seine Schwachstellen. Und die Produkte des Spartakus-Projekts haben eine Schwachstelle: eine genetisch eingestellte Neigung zu Andromedas.
#Religion #Wirtschaft #Besatzung #interplanetar
http://jmp1.de/h2997
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.