Seit den 40er Jahren fahren Autos wirklich selbständig. Das funktioniert nicht nur auf geraden Strecken und Autobahnen, sondern auch überall in den Städten, bei jeder Witterung, Tag und Nacht. Wer ein Fahrzeug braucht, kann sich eines rufen. In der Stadt dauert es nicht länger als 5 Minuten, bis ein Auto vor der Tür steht. Es fährt vom nächstgelegenen Standort alleine her, bringt die Passagiere selbständig zum Ziel und fährt dann weiter zum nächsten Auftrag.
Immer weniger Autos werden an Privatleute verkauft. Die Gesamtzahl der Autos sinkt. Früher standen Autos die meiste Zeit auf der Straße vor dem Haus. Heute sind sie ständig im Betrieb. Die Ressource Auto wird besser genutzt. Dafür werden weniger Einheiten gebraucht. Die Autoindustrie, die gerade erst die Umstellung auf Elektroantrieb verdaut hat, bekommt ein noch viel größeres Problem. Mitte der 40er Jahre setzt eine Konzentrationswelle ein. Autohersteller schließen sich zusammen oder werden von Autovermietern übernommen.
Fahrzeughersteller, die rechtzeitig auf die Vermietung gesetzt haben, werden zu modernen Mobilitätsanbietern mit eigener Hardwareproduktion. Andere Mobilitätsanbieter kaufen sich Fahrzeughersteller, um die Wertschöpfungskette zu verlängern. Eine hohe Verfügbarkeit der Fahrzeuge ist entscheidend. Deshalb müssen Mobilitätsanbieter einen großen Fahrzeugpool bieten. Gleichzeitig müssen die Anbieter überregional stark vertreten sein. Denn auch bei Individualfahrten zwischen Städten kann nur die genutzte Strecke abgerechnet werden, selbst wenn das Auto danach lange zurück fahren muss. Das führt zu Konzentration bei Mobilitätsanbietern durch einige der größten Firmenzusammenschlüsse aller Zeiten.
Um 2050 wird der Mobilitätsmarkt von wenigen Anbietern beherrscht. Einer davon ist Gari Tata, hervorgegangen aus der Mobilitätsplattform GariGari und Tata Motors. Gari Tata hat weltweit 1,6 Milliarden Kunden, davon 900 Millionen feste Abonnenten und fast 100 Millionen eigene Fahrzeuge. Kunden geben heute im Mittel nur noch 5% ihres Einkommens für Mobilität aus. Trotzdem entspricht der Umsatz von Gari Tata dem Bruttoinlandsprodukt eines großen EU-Mitgliedstaats.
Wie alle Mobilitätskonzerne bietet auch Gari Tata verschiedene Verträge, mit fester Laufzeit oder monatlicher Kündigungsfrist, mit festem Reichweitenkontingent oder abhängig von der Nutzung. Es gibt diverse Qualitätsklassen von Kleinwagen bis Sportcabrio. Wie in der Branche üblich, umfasst das Tarifsystem Bonusprogramme, Punktesysteme, Cross-Selling anderer Infrastrukturangebote und Kombitarife für integrierte Kommunikations-, Informations- und Mobilitätsleistungen (KIM-Flats). Die meisten Kunden haben nutzungsabhängige Tarife. Abgerechnet wird nach Zeit und Kilometer automatisch über das jeweilige mobile Gerät des Benutzers (Smart-Button, Ohrring, Armband, ePaper, Nili, Brille).
Im Jahr 2052 prüft das Magazin Urban Professional aus dem San Diego Megaplex die Leistungen mehrerer Mobilitätsanbieter durch Straßentests. Dabei fallen bei allen geprüften Unternehmen Abweichungen auf zwischen theoretischer Wegstrecke und abgerechneter Strecke. Die Abweichungen bewegen sich zwischen 1% und 3%. Das ist keine Überraschung, denn eine Toleranz von 3% ist in den meisten Ländern zulässig. Die Abweichung wird von vielen Stellen regelmäßig gemessen und veröffentlicht. Der entsprechende Verrechnungsfaktor wird von Preisvergleichsplattformen berücksichtigt. Nur Gari Tata fällt mit einer Diskrepanz von 4% auf. Das ist eigentlich nicht möglich, denn die Testlabors der Überwachungsstellen würden den Dienst so nicht zertifizieren. Urban Professional veröffentlich das Testergebnis von Gari Tata als statistischen Ausreißer.
Weltweit gibt es ständig Berichte über Qualität, Leistung und Kosten von Mobilitätsanbietern. Erst 2053 zeigt Gari Tatas Dienst wieder eine hohe Diskrepanz in einem Vergleich von MuMu (Mumbai Municipal). Nach mehreren Presseberichten lässt die indische Verkehrsbehörde den TÜV Bangalore intensive Labor-, Straßen- und Simulatortests durchführen. Dabei stellt sich heraus, dass die Abrechnung von Gari Tata auf dem Prüfstand und im Simulator korrekt ist und auch bei Straßentests nur unter bestimmten Bedingungen falsch liegt. Nach weiteren Untersuchungen taucht die Vermutung auf, dass der Abrechnungsalgorithmus zwischen Test- und Realbedingungen unterscheidet.
Gari Tata scheint verschiedene Kilometerzahlen zu verwenden, je nachdem, ob ein echter Fahrbetrieb stattfindet oder ein Test läuft. Nur bei echten Endkunden wird mit einer bis zu 6% höheren Kilometerzahl gerechnet. Anscheinend gleicht das Abrechnungssystem auch Kundenprofile und Kontonamen mit externen Datenbanken ab. Sogar bei freien Mitarbeitern von Mobilitätsmagazinen, die das Benutzerkonto von Familienangehörigen verwenden, fallen keine Ungereimtheiten auf. Die Abrechnungssoftware betreibt offensichtlich großen Aufwand, um echte Fahren von Testfahrten zu unterscheiden und die abweichende Berechnung zu verschleiern.
Nach einem Crapsturm in den Medien erklärt Gari Tata, dass bei Überprüfungen tatsächlich andere Kilometerangaben gelten, da bei Labortests auf dem Prüfstand keine realen Entfernungen gemessen werden können. Die indische Verkehrsbehörde akzeptiert die Erklärung und stellt nach einem bestandenen Wiederholungstest die Ermittlungen ein.
Aber die Verbraucherschützer lassen sich nicht so leicht abwimmeln. Die Erklärung von Gari Tata hat offensichtliche Lücken, da ja nicht nur Labortests betroffen sind. Allmählich gelingt es unabhängigen Testern, die Fehlabrechnung reproduzierbar nachzuweisen.
Anfang 2054 verschwinden die Abweichungen plötzlich. Anscheinend hatte Gari Tata die Manipulation durch ein Softwareupdate weltweit abgeschaltet. Nur in den wenigen Simulatoren ohne Netzwerkverbindung bleibt der Fehler messbar. Durch diesen offensichtlichen Eingriff werden Regulierungsbehörden in mehreren Staaten aufmerksam. Ermittlungen beginnen. Es gibt Anfragen an den Konzern, Durchsuchungen, Vernehmungen und Beschlagnahme von Beweismitteln. Die Medien berichten ausführlich. Das Neukundengeschäft bricht ein.
Mitte 2054 gibt Gari Tata die Manipulation zu. Der Softwaredienstleister eines Zulieferers der malaysischen Privatkundentochter des Konzerns habe einen Abrechnungsalgorithmus entwickelt, der den Customer Lifetime Value optimiert. Die Auswahl des Dienstleisters durch den Zulieferer sei auf Basis einer Kosten/Nutzen Analyse geschehen ohne, dass den Mitarbeitern von Gari Tata eine unerlaubte Manipulation angezeigt worden wäre. Unglücklicherweise habe die Softwarekomponente der Tochterfirma später weltweit in die Betriebsware der Fahrzeuge Eingang gefunden.
Die aufwändigen Verschleierungsmaßnahmen in der Abrechnungssoftware und die Protokolle der Softwareupdates lassen die Erklärung unglaubwürdig erscheinen. Der Umsatz geht um 10% zurück.
Vor allem Kunden mit kurzen Verträgen wechseln zu anderen Anbietern. In den meisten Regionen der Erde konkurrieren mehrere Unternehmen um das Mobilitätsbudget der Kunden. Die Leistung ist so standardisiert, dass sich die Angebote vor allem in Preis und Service unterscheiden. Ein Wechsel fällt nicht schwer.
In über 150 Ländern werden Verbraucherklagen und Rückforderungen gegen den Konzern eingereicht.
Die zugehörigen Ermittlungen führen zu weiteren Untersuchungen. Dabei kommt heraus, dass viele Ebenen an der Manipulation beteiligt waren. Verantwortliche und Mitwisser sitzen im Vorstand der GT-Holding, in Produktmanagement und Vertrieb, Entwicklung und Wartung, bei Zulieferern und in regionalen Töchtern. In rund 100 Ländern reicht die Staatsanwaltschaft Klage ein. Der Umsatz fällt um 20%.
Der Großteil der Gewinne von Gari Tata liegt in Staaten mit günstigen Steuerbedingungen. Der Konzern hatte Unternehmensanleihen ausgegeben, um Gewinne an die Aktionäre auszuschütten ohne bei Finanztransfers hohe Einkommenssteuern zahlen zu müssen. Diese Praxis läuft schon einige Jahre. Anleihen in der Höhe eines Jahresumsatzes stehen unversteuerte Guthaben von 120% entgegen.
Im Jahr 2055 werden Auslandsguthaben unter Verlusten repatriiert. Das geht nicht schnell genug. Die Holding kann nicht mehr alle Kredite bedienen. Der Aktienkurs stürzt ab.
Anleihen werden vorfällig. Eine Prognose ergibt eine deutliche Unterdeckung von steuerbereinigten Guthaben gegenüber den Verbindlichkeiten. Der Aktienkurs stürzt ins Bodenlose. In mindestens 50 Staaten wird der Konzern zu Strafen verurteilt. Die Gesamthöhe beträgt 80% eines Jahresumsatzes. Leitende Mitarbeiter werden angeklagt. Außerordentliche Vertragskündigungen von Bestandskunden lassen den Umsatz um 50% einbrechen.
Anfang 2056 erklärt die Holding Zahlungsunfähigkeit. Viele Regionalgesellschaften folgen. Der Betrieb wird eingestellt. Alle Kunden wechseln. Der Verkauf der Fahrzeugflotte verläuft schleppend.
Wenige Jahre später wird Gari Tata aus dem Firmenregister gelöscht.
Gegen den Leiter der indischen Verkehrsbehörde wird wegen Vorteilsnahme ermittelt. 80 weitere Mitarbeiter der Behörde werden entlassen.
In über 50 Staaten werden über 300 Mitarbeiter von Gari Tata wegen Betrug verurteilt, ca. 150 wegen Verschwörung, 99 wegen organisiertem Verbrechen und 3 in Bhutan wegen grob fahrlässiger Reduzierung des Bruttonationalglücks.
In mehr als 70 Staaten der Erde werden Verbindungen zwischen Steueramnestien und Gari Tata Lobbyisten bekannt. Insgesamt treten weltweit zwei Minister und fünf Abgeordnete zurück.
Verbraucherschutz-INGOs (Independent-NGO) decken auch bei anderen Mobilitätsanbietern Optimierungen auf, die höhere Average Customer Lifetime Values realisieren. Es stellt sich heraus, dass die anderen Anbieter bei der Manipulation der Abrechnung nur etwas defensiver vorgehen als Gari Tata und vor allem noch bessere Algorithmen zur Testdetektion verwenden.
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http://jmp1.de/h2055
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